Tinnitus

 

Mindestens jeder 10. Deutsche leidet an Ohrgeräuschen.

 Wahnsinn, denn als ich mit Tinnitus "in Berührung" kam, kannte ich nicht einen einzigen Menschen, der hiervon betroffen war. Interessant finde ich auch die Tatsache, dass wir Tinnitus als Leiden verstehen, für andere Kulturen sind Ohrgeräusche nicht negativ, sondern die davon betroffenen Menschen glauben, dass die Götter mit ihnen kommunizieren. Tja, so ein Glaube bewirkt dann natürlich, dass die Ohrgeräusche meist als positiv wahrgenommen werden. Bei einem Teil der Chinesen und den Taiwanern ist das zum Beispiel so.

 

"Tinnitus ist kein Defekt des Hörorgans, sondern eine Störung des zentralen Hörsystems. "

Dies hörte ich während eines Vortrages von Herrn Dr. Roland Zeh in der Bad Berleburger  Tinnitusklinik, wo ich mich mehrere Wochen in Behandlung befand. Aber ich beginne mal am Anfang:

 

Im März 2004 wachte ich eines Morgens auf und hatte einen extrem hohen Pfeifton in meinem linken Ohr. Beim Frühstück erzählte ich meinem Ehemann davon und er riet mir, sofort zum Arzt zu gehen, das sei wahrscheinlich Tinnitus ...

Ja, es war und ist Tinnitus. Es begann eine Untersuchungs- und Behandlungsodysse, die bis zum Sommer dauerte. Ich bekam die klassichen Medikamente - Cortison und Durchblutungsförderungen, 2 MRT-Aufnahmen wurden gemacht, neurologisch und orthopädisch wurde alles genauestens untersucht, ebenso wurden meine Nackenwirbel gestreckt. Aber nichts brachte den leisesten Erfolg. 

Im November 2004 trat das hohe Pfeifen kurzzeitig auch im rechten Ohr auf. Meine psychische Verfassung verschlechterte sich sehr. Nie mehr Ruhe im Kopf zu haben, der Gedanke brachte mich fast um den Verstand. Hinzu kam, dass das Geräusch lauter wurde, wenn ich Auto fuhr, Musik hörte, Fernsehn schaute und in einem Restaurant saß, wo viele Leute sich unterhielten und gleichzeitig Musik lief.

Mein HNO-Arzt drängte darauf, dass ich mich in eine Tinnitusklinik begab. Aber dazu entschloss ich mich erst im Februar 2005. Zu diesem Zeitpunkt war ich bereits „fix und fertig". Bei all den Untersuchungen wurde außerdem festgestellt, dass die Gehörkette in meinem rechten Ohr unterbrochen war (ich litt seit mehr als 3 Jahrzehnten an Schwerhörigkeit auf dem rechten Ohr), und das Trommelfell nicht mehr vorhanden war. Mein HNO befand, dass ich mich hieran dringend operieren lassen sollte.

Im April 2005 begann ich einen mehrwöchigen Reha-Aufenthalt in der Baumrainklinik in Bad Berleburg. Die erste Woche war Horror, aber dann stellten sich mein Körper und meine Seele auf RUHE ein und es ging mir besser. Die Erwartung, dort nimmt man mir den Tinnitus, wurde natürlich nicht erfüllt. Denn man kann einen chronischen Tinnitus nicht heilen. Aber man kann die Einstellung dazu, seine Lebenseinstellung usw. beeinflussen. Und dies hat sowohl positive als auch negative Auswirkungen auf Ohrgeräusche. 

Das sind nicht nur leere Worte, DAS STIMMT ! Ich kann es aus eigener Erfahrung bestätigen. Und in 4, 6 oder 8 Wochen Reha hat man doch öfter Zeit sich Gedanken zu machen als zu Hause. Und ich wusste ja vorher schon, dass bei mir einiges im „argen" liegt. Ich setze mich immer gerne selber unter Druck und kann ganz schlecht relaxen. Und wenn, dann muss meine Liste, die ich mir erstellt habe, abgehakt sein. Nur bin ich dann meist zu erschöpft um Relaxen genießen zu können. Was mir auch sehr gut getan hat war die Tatsache, endlich einmal auf Menschen zu treffen, die von dem gleichen Leiden betroffen sind. Die Wahrnehmung der Geräusche ist zwar bei jedem unterschiedlich, die meisten hören ein Rauschen, aber es hat so gut getan, mit "Leidens"genossen zu sprechen und sich auszutauschen. Ich kann so einen Aufenthalt nur empfehlen !

Natürlich wurde ich auch in dieser Klinik von Fachärzten untersucht. Als sie hörten, wie defekt mein rechtes Ohr war und bei ihren Untersuchungen auch noch beginnenden Knochenfraß feststellten, hat man mit mehreren Ärzten auf mich eingeredet. Eine Operation muss schnellstens erfolgen und nicht erst in einem Jahr oder noch später. Außerdem würde die Wahrscheinlichkeit bestehen, dass mein hohes Ohrgeräusch in den Hintergrund gehen würde. Ich belaste mein linkes Ohr nun seit über 3 Jahrzehnten jeden Tag und vielleicht ist das u. a. auch ein Grund für meinen Tinnitus.

Was ich für mich persönlich als angenehm empfunden habe, war die Tatsache, dass einige HNO-Ärzte in der Baumrainklinik selber von einer Hörschädigung, Tinnitus u. a. betroffen sind, einige sind Cochlea-Implantat-Träger. Diese Tatsache erleichtert einem Patienten so einiges. Denn wer selber betroffen ist, kann vieles besser verstehen und als Patient nimmt man von so einem Menschen eher Rat an. Ein Psychologe, der keine Hörschädigung hatte, meinte in einer Gruppensitzung: "Man muss auf Dauer die Einstellung bekommen: Tinnitus egal !" Ich teilte zu diesem Zeitpunkt diese Meinung überhaupt nicht, zumal sie ein Mensch äußerte, der nicht betroffen ist. Dann hat man gut reden, dachte ich. Ich weiß nicht, wie das bei anderen Betroffenen ist, aber für mich ist heute eines klar: wenn meine Seele im Gleichgewicht ist und ich nicht vor Stress abdrehe, dann empfinde ich den Tinnitus auch nicht so belastend. Er ist mir "fast egal" ... Sobald sich meine Situation jedoch ändert, und ich wieder auf tausend Hochzeiten gleichzeitig tanze, oder man seelische Baustellen mit sich herumträgt, ist das Geräusch viel stärker.

Da mir diese Eindringlichkeit sehr zu denken gab, und ich mich an die Worte meines HNO’s erinnerte, erkundigte ich mich, wer so eine Operation am besten durchführen kann. Auf Empfehlung wandte ich mich an die Uni-Klinik Essen, Abt. HNO, Herrn Prof. Dr. K. Jahnke. Dort wurde ich nun im November 2005 operiert. Einen vorherigen Termin musste ich wegen einer akuten Erkrankung leider absagen. Leider ist gut, ich bin ein ziemlicher Angsthase wenn es um Krankenhäuser, Spritzen und des sich Auslieferns geht. Aber ich weiß, dass das eine Chance ist. Und für meine Umgebung ist eine ständig "Was hast Du gesagt?"-Fragende ja auch nicht immer lustig.

zum OP-Bericht ...

Zum Schluss möchte ich Betroffenen ein Buch von Dr. med. Eberhard Biesinger empfehlen:

Tinnitus: Endlich Ruhe im Ohr !

TRIAS-Verlag, ISBN-Nr. 3-8304-3244-5

Ich  bekam dieses Buch im Sommer 2005 von einem Freund geschenkt. Es ist sehr informativ und deckt so gut wie alle Fragen ab.

Eure Kerstin J. Vieker